Live-Übertragung des Gärprozesses

Artikel vom 15. November 2022
Mess- und Prüfgeräte, Sensoren

Wer eine Flasche seines Lieblingsbieres öffnet, erwartet ein bekanntes Geschmackserlebnis. Dahinter steckt ein komplexer Prozess, bei dem vor allem die Gärung genau kontrolliert werden muss. Ein neues Multisensor-Messgerät von Endress+Hauser ermöglicht durch die Kombination verschiedener Messverfahren in Verbindung mit digitalen Technologien eine Live-Verfolgung des Gärprozesses.

Das neue Multisensor-Messgerät ermöglicht die »Live-Übertragung« der Messwerte und Chargen auf Smartphones und Tablets (Bild: Endress+Hauser).

Das neue Multisensor-Messgerät ermöglicht die »Live-Übertragung« der Messwerte und Chargen auf Smartphones und Tablets (Bild: Endress+Hauser).

Voraussetzung für die bestmögliche Vergärung der Würze ist eine gute und wiederholbare Prozessführung, die eine stabile Bierqualität gewährleistet. Um den Gärprozess zu kontrollieren, werden häufig noch ein oder zwei Mal täglich manuelle Probenahmen vorgenommen, die mittels einer Spindel vor Ort gemessen oder in einem Labor mit Messgeräten analysiert werden. Anhand der Ergebnisse lässt sich der scheinbare Extraktgehalt des Jungbieres ermitteln. Auf dieser Basis wird dann versucht, den Vergärungsgrad zu bestimmen. Hierfür muss eine Person vor Ort sein, was pro Tank einen Zeitaufwand von bis zu 15 Minuten bedeutet.

Die Sensorik des »Fermentation Monitor QWX43« mit Schwinggabelzinken und Temperaturfühler taucht direkt ins Bier ein und misst kontinuierlich Dichte, Ultraschalllaufzeit und Prozesstemperatur (Bild: Endress+Hauser).

Die Sensorik des »Fermentation Monitor QWX43« mit Schwinggabelzinken und Temperaturfühler taucht direkt ins Bier ein und misst kontinuierlich Dichte, Ultraschalllaufzeit und Prozesstemperatur (Bild: Endress+Hauser).

Diese Analyse ist jedoch nur die Momentaufnahme des dynamisch verlaufenden Gärprozesses. Auch stützen sich die Spindeln oder die Labormessung meist nur auf eine Messgröße, beispielsweise die Dichte. Diese reicht aber nicht aus, um unter anderem den Extraktgehalt und den durch die Gärung tatsächlich gebildeten Ethanolgehalt zu messen. So müssen sowohl diese Größen als auch der Vergärungsgrad durch Näherungsgleichungen festgelegt werden. Eine wirkliche Trockenmasse ist damit nicht bestimmbar und die durchgehende, nachvollziehbare Prozessführung wird erschwert.

Kontinuierliche Messung

Eine Alternative zu den manuellen Probenahmen und Labormessungen ist das Multisensor-Gerät »Fermentation Monitor QWX43« von Endress+Hauser, das ohne großen Aufwand am Gärtank angebracht wird und direkt ins Bier eintaucht. So misst das Gerät während der Gärung kontinuierlich Dichte, Ultraschalllaufzeit und Prozesstemperatur, ohne dass jemand direkt vor Ort sein muss.

Die Messwerte werden per WLAN vom Sensor an das IIoT-Ökosystem »Netilion« von Endress+Hauser übermittelt. In dieser nach höchsten Standards gesicherten Cloud berechnet der auf den ermittelten Zusammenhängen basierende Algorithmus aus den Roh-Messwerten in Echtzeit die relevanten Parameter wie Stammwürze, Extrakt, Alkoholgehalt und Vergärungsgrad. Mit der Anwendung »Netilion Value« können die Daten jederzeit auf dem Smartphone, dem Tablet oder am Computer abgerufen und heruntergeladen werden. Mittels der in »Netilion« gespeicherten historischen Daten ist es zudem möglich, den gesamten Prozessablauf eines oder aller Gärvorgänge nach Chargen geordnet zu überblicken und zu bewerten.

Die Messwerte des Bieres können mit jedem internetfähigen Gerät von überall aus abgerufen werden (Bild: Endress+Hauser).

Die Messwerte des Bieres können mit jedem internetfähigen Gerät von überall aus abgerufen werden (Bild: Endress+Hauser).

Der »Fermentation Monitor« basiert auf der Technologie des Vibroniksensors. Die Gabeln werden durch piezoelektrische Elemente zur Schwingung angeregt. Die Dichtebestimmung erfolgt über eine Frequenzmessung bzw. über die Frequenzänderung der Gabelschwingung. Eine erhöhte Dichte lässt sich an einer geringeren Schwingfrequenz ablesen.

Zusätzlich erzeugen die genannten piezoelektrischen Elemente ein hochfrequentes Ultraschallsignal zwischen den Schwinggabeln. Hierbei kann die Ultraschallgeschwindigkeit hochgenau bestimmt werden und unterscheidet sich je nach Zusammensetzung des Mediums. Zur Bestimmung der Viskosität wird der Einfluss des Mediums auf die Dämpfung der Schwingung ermittelt. Hierzu wird die Schwingung während des Prozesses immer für einige Millisekunden gestoppt und das Abklingverhalten der Schwingung beurteilt. Zwei PT1000-Sensoren im Temperaturfühler kompensieren durch eine hochgenaue Temperaturmessung die Temperatureinflüsse des Mediums auf die verschiedenen Messgrößen und übermitteln zudem exakt die Prozesstemperatur. Daher kann ein Multisensor-Messgerät wie »Fermentation Monitor QWX43« den Gärprozess ganzheitlicher abbilden als reine Dichte- oder Ultraschallmessgeräte.

Ganzheitliche Betrachtung

Bier besteht in einer vereinfachten Sichtweise aus den drei Komponenten Wasser, gelöste Feststoffe und Alkohol. Da Wasser als Medium bereits sehr gut durch mathematisch-chemische Modelle beschrieben ist, sind hier nur zwei weitere Variablen zur unabhängigen Bestimmung der beiden übrigen Konzentrationen notwendig. Während des Gärprozesses nimmt die Dichte sowohl durch den Zuckerabbau als auch durch die Alkoholbildung ab, ihr Verhalten ist also nicht spezifisch für eine der Messgrößen. Das Verhalten der Schallgeschwindigkeit allerdings unterscheidet sich bei Alkoholzunahme sowie bei Zuckerabnahme deutlich. Bei Zuckerabnahme verringert sich die Schallgeschwindigkeit, bei Alkoholzunahme erhöht sie sich.

Das neue Multisensor-Messgerät »Fermentation Monitor QWX43« (Bild: Endress+Hauser).

Das neue Multisensor-Messgerät »Fermentation Monitor QWX43« (Bild: Endress+Hauser).

Dieses Verhalten der Dichte und Schallgeschwindigkeit jeweils für sich allein genommen würde es nicht ermöglichen, die Reaktionsmechanismen während der Gärung und auch die Verhältnisse von Alkohol und Extraktgehalt im Gärverlauf zueinander zu bestimmen. Nur über eine intelligente Vernetzung der gemessenen Variablen und die Einbeziehung zahlreicher empirisch ermittelter Reaktionskinetiken kann die Vergärung zu jedem Zeitpunkt charakterisiert werden. So ist es mit dem Messgerät möglich, Alkoholbildung und Extraktabnahme unabhängig voneinander darzustellen. Das Messgerät kann zum Beispiel auch erkennen, in welchem Gärzustand sich der Prozess gerade befindet oder ob sich Wasser oder Würze im Tank befindet.

Vorteile der Cloud-Auswertung

In der Cloud-Plattform »Netilion« kann zum Beispiel eine produzierte Charge, die einen idealen Gärprozess durchlief, als Referenzcharge gekennzeichnet und die Messwerte der laufenden Charge automatisch und kontinuierlich mit dieser Referenz abgeglichen werden. Sobald die laufende Charge wesentlich von der Referenz abweicht, wird das Personal von der App informiert und kann sofort Maßnahmen ergreifen, um eine wiederholbare Prozessführung und somit die Qualität des Bieres zu gewährleisten. Für alle Prozessereignisse kann individuell pro Biersorte eine Alarmfunktion eingerichtet werden. So lassen sich beispielsweise die Kapazitäten der Gärtanks maximieren, indem zum idealen Zeitpunkt gekühlt wird.

Ein weiteres Beispiel für mögliche Prozessverbesserungen ist die optimierte Nutzung der Brauhefe. Die Anstellhefe leistet dabei den entscheidenden Beitrag für die Produktivität der Gärung und das Verhalten während der Reifung sowie den Erhalt der gewünschten Bierqualität. Zur Wahrung der Qualität ist es wichtig, dass eine mögliche Degeneration der Anstellhefe frühzeitig erkannt wird. Aus der Literatur ist zudem bekannt, dass gerade bei der Vergärung in den als wirtschaftlich geltenden zylindrokonischen Tanks (ZKT) die Hefe gestresst wird.

Heute lässt sich dank der hygienisch und technisch ausgereiften Prozessführung die Qualität der Anstellhefe gut charakterisieren, zum Beispiel anhand der Ethanolbildungsrate, der Entstehung üblicher Stoffwechselnebenprodukte oder des Nährstoffverbrauchs. Der Verlauf dieser Indikatoren ist sowohl vor als auch während der Hauptgärung interessant. Anzeichen für eine Degeneration bzw. Stressfaktoren für den Hefeansatz sind zum Beispiel eine Verlangsamung der Vergärung im Vergleich zu vorangegangenen Gärungen oder eine Verlängerung der Lag-Phase vor der tatsächlichen Verstoffwechselung der angebotenen Zucker. Die Wachstumsphase der Hefen wird auch durch das bei Standardwürzen unvermeidbare Eintreten des Crabtree-Effekts unter aeroben Bedingungen negativ beeinflusst, da weniger Biomasse gebildet werden kann. Dies führt bei häufiger Wiederverwendung zu einer Population älterer Erntehefen.

Die detaillierten, hochgenauen und wiederholbaren Messwerte des »Fermentation Monitor QWX43« sind verlässliche Indikatoren für die Ethanolbildung und den Nährstoffabbau. Zusätzlich kann die Zunahme der Hefezellzahl am Anfang des Prozesses aus der beobachteten Viskositätserhöhung des Mediums abgeleitet werden. Durch den Vergleich aktueller Prozessdaten mit Daten der letzten Gärvorgänge können Schwellenwerte zur Steuerung der Hefewiederverwendung definiert werden. Diese können zum Beispiel auf der Auswertung der Lag-Phasen oder der Länge und Intensität des Crabtree-Effektes bzw. dem tatsächlichen Start der anaeroben Gärung beruhen. Dadurch ist ein Vergleich der momentanen und vorherigen Gärkurven verschiedener Chargen möglich, unabhängig vom Tank, in dem das Bier gebraut wird. Auf dieser Basis kann das Personal entscheiden, ob die verwendete Hefe durch frische ersetzt werden sollte.

Beispielsweise kann eine signifikante Verlängerung der aeroben Gärungsphase (Crabtree-Effekt) und somit eine Verschlechterung des Sprossungsverhaltens der Anstellhefe über zwei aufeinanderfolgende Sude über die Signale des »Fermentation Monitor QWX43« nachgewiesen werden. Diese Entscheidungsfaktoren lassen sich dann auch als Schwellenwerte für eine automatische Benachrichtigung durch das System hinterlegen. Der wiederkehrende Crabtree-Effekt ist anhand der Gärkurven gut erkennbar und dient so als Frühwarnstufe für eine mögliche Überalterung der Anstellhefen.

Fazit

Durch die Kombination dreier verschiedener Messverfahren in nur einem Gerät lassen sich im Gärprozess vier Parameter messen. Aus diesen wird mithilfe digitaler Technologien und der Verknüpfung entsprechender Algorithmen die Reaktionskinetik des Gärprozesses abgebildet. Damit hat man eine Live-Übertragung des Gärprozesses und kann die Prozessführung bestmöglich steuern.

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